Jutta Seifert
23. Januar 2016
Hans Todtenbier
23. Januar 2016
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Dr. med. Horst Wilhelm Siegel

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Dr. med. Horst Wilhelm Siegel

geboren am 01. September 1905 in Dresden,
gestorben am 18. April 1945 an der Ostfront

Mein Vater war praktizierender Arzt in Dresden. Im Jahr 1940 wurde er zum Krieg eingezogen und kam als Hauptstabsarzt in das Kriegsgefangenenlager Mühlberg an der Elbe. Dort wurde ihm der Kriegsgefangene Michel S., ein Elsässer, als Assistent und Dolmetscher zugewiesen. Michel eignete sich wegen seiner Sprachkenntnisse und dem Studium einiger Semester Medizin besonders für diese Aufgabe.
Die beiden arbeiteten viele Monate lang perfekt zusammen, oft genügte ein Wimpernschlag für eine gegenseitige Mitteilung. Zudem stellten Sie weitgehend Übereinstimmung in privaten Interessen fest und fanden zu vielen Problemen gemeinsame Standpunkte. Dabei war ihnen bewusst, dass eine Freundschaft zwischen einem Kriegsgefangenen und einem hohen Offizier streng verboten war und sie erhielten regelmäßig wohlgemeinte Warnungen: „Hier haben die Wände Ohren.

Vorsichtig, ihr werdet beobachtet!“ Trotzdem ging über zwei Jahre hinweg alles gut, doch dann erfuhren sie, dass Michel in ein Straflager abkommandiert werden sollte. Das waren unterirdische, in Berge eingetriebene Rüstungsbetriebe und jeder wusste, dass aus diesen Lagern nur selten ein Kriegsgefangener wieder zurückkam. Als der Termin näher rückte, gelang es meinem Vater, Michel illegal in einem Lazarettzug zu verfrachten und nach Paris zurückzuschicken. Das war im Jahr 1942 und für Michel war der Krieg damit vorbei, nicht aber für meinen Vater, der daraufhin an die Ostfront versetzt wurde. Kurz vor Kriegsende, am 18. April 1945, ist er dort gefallen.

Doch damit ist die Geschichte noch nicht zu Ende. Nachdem Michel nach dem Fall der Mauer endlich die Möglichkeit hatte, von Frankreich aus nach seinem Retter zu suchen, schrieb er als 83-jähriger einen Brief an den Dresdner Oberbürgermeister.

Nach einer daraufhin veranlassten Suchaktion aller Dresdner Zeitungen meldete ich mich als dessen Tochter, und es entwickelte sich spontan eine Freundschaft zwischen Michel und mir. Zuerst hatten wir regen Austausch von Briefen, später telefonierten wir. Wir verstanden uns von Anfang an bestens, und ich habe ihn schließlich mehrfach im Elsass besucht. Bis zu seinem Tod im Jahre 2011 habe ich Michel freundschaftlich begleitet. Michel starb – wie mein Vater – ebenfalls an einem 18. April.

Geschrieben von Jutta Seifert aus Wesseling

 

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